(Foto: Vincent Leifer)
Zu Inszenierung, Bühne und Kostüm – Interview mit der Regisseurin
Catrin Darr Nachdem du in den vergangenen OPERNALE-Jahren vor allem große Opernstoffe auf die Bühne gebracht hast, beschäftigst du dich im 4. Jahr der OPERNALE mit einer hierzulande fast vergessenen Autorin, der Greifswalder Barockdichterin Sibylla Schwarz. Wie kam es dazu?
Henriette Sehmsdorf Es ist ein Vereinsziel des OPERNALE e.V., neue Zuschauerinnen und Zuschauer für die Gattung Oper zu begeistern. Dabei gehen wir nach dem Grundsatz vor, unsere Gäste dort abzuholen, wo sie sind, und sie dahin zu „entführen“, wo wir sie haben wollen. Danach richtet sich unsere Themenwahl. Als wir uns vor mehr als einem Jahr entschlossen haben, Sibylla Schwarz zum Thema der OPERNALE 2014 auf TOUR zu machen, war sie tatsächlich nahezu vergessen. Inzwischen ist zumindest im Greifswalder Umfeld sehr viel passiert, und die Dichterin ist nicht mehr nur den Fachleuten bekannt. Man kann sagen, der Geist Sibylla Schwarz‘ liegt in der Luft, und die Zeit ist endlich reif für den Auftritt der Dichterin auf die Bretter, die die Welt bedeuten.
Catrin Darr Eine Autorin, die zwischen ihrem 13. und nicht vollendeten 18. Lebensjahr unglaubliche Textmengen von bemerkenswerter Qualität produziert, die, folgt man der Spur, die sie in vielen ihrer Texte legt, innig und verwegen zu leben und zu lieben vermochte, zumindest doch in ihrer eigenen Phantasie, und die am Hochzeitstag ihrer Schwester aus dem Leben gerissen wird. – Ist das nicht geradezu der Stoff, aus dem Dramen gemacht sind?
Henriette Sehmsdorf Genau! Und das haben schon lange vor uns Hans-Jürgen Schumacher mit seinem Roman „… die Lieb‘ ist mein Beginn“ und Ulrich Frohriep mit seinem Theaterstück „Dichtung Liebe Tod“ erkannt, auf deren beider Vorlage unser Libretto basiert.
Catrin Darr Worin liegt für dich der Reiz der künstlerischen Auseinandersetzung mit Sibylla Schwarz?
Henriette Sehmsdorf Da Sibylla in erster Linie durch ihre poetischen Texte lebt, braucht es diese Texte auf der Bühne. Genau das ist die formale Herausforderung: Wie kann man Lyrik – die ja eigentlich für das private Lesen oder den Vortrag im intimen Kreis geschaffen worden ist – in einen dramatischen Bühnenvorgang einbinden. Für mich selbst ist die Beschäftigung mit dem Versmaß, die im Allgemeingebrauch komplett verloren gegangen ist (man denke nur an das schrecklich unsaubere und unrhythmische Gereimsel in heutigen Kinderbüchern) ein großer Reiz. Bei Sibylla stimmt jede Silbenanzahl, jede Zeile – ihre Texte sind formvollendet. Wenn man die richtige Vortragsweise gefunden hat, perlen die Gedichte dahin wie guter Wein die Kehle hinunter. Es ist ein großer Genuss!
Catrin Darr Wo liegt der Schwerpunkt deiner Konzeption und Inszenierung?
Henriette Sehmsdorf Tatsache ist, dass uns sehr wenig biografisches Material überliefert ist. Alles, was wir von Sibylla wissen, entnehmen wir zwei gedruckten Schriften: der Leichen-predigt von Christoph Hagen und der zweibändigen Ausgabe der Gedichte und poetischen Texte von Samuel Gerlach, die erst 12 Jahre nach ihrem Ableben herausgegeben worden sind. Was fehlt, sind ihre Handschriften. Wenn wir jetzt für die Bühne einen Charakter kreieren, müssen wir uns entscheiden und uns frei machen von dem wissenschaftlichen Diskurs des Wenn und Aber. Unser Anliegen ist es, ein Bild von Sibylla zu entwerfen, das glaubhaft ist und das im besten Sinne des Wortes berührt.
Catrin Darr In welchem (Kunst-)Raum ist deine Inszenierung verortet?
Henriette Sehmsdorf OPERNALE 2014 auf TOUR findet auf einem „Nudelbrett“ von 3 x 4 m statt und muss innerhalb von vier Wochen 15 Mal auf- und abgebaut werden. Da muss man sich auf das Notwendigste beschränken. Jedes Requisit wird dahingehend geprüft, ob man nicht auch darauf verzichten könnte. Die Bühne von Tom Hornig besteht aus drei Möbeln, die anfänglich das Sterbezimmer erzählen, aber dann vielseitig einsetzbar sind. Mit diesen drei Möbeln lassen sich sieben verschiedene Räume bilden – Räume, die Sibyllas Phantasie, ihrer Erinnerung oder ihrem Fieberwahn entsprungen sind.
Catrin Darr Welche Überlegungen liegen dem historisch verorteten Kostümbild zugrunde?
Henriette Sehmsdorf Mit Stefanie Gruber haben wir eine Kostümbildnerin mit einer unglaublichen Liebe zum Detail und mit hoher fachlicher und handwerklicher Kompetenz engagiert. Alle Kostüme sind von ihr nach sorgfältiger Materialauswahl handgefertigt. Ich selbst kann mich kaum daran sattsehen, und ich finde diese Qualität wichtig, da unser Publikum dem Bühnengeschehen sehr nahe ist. Außerdem wechselt unser Stück von der Erzählebene her ständig zwischen Vor-, Rückblende, Erinnerung, Wunsch-, Alb- und Fieber-traum. Da ist diese historische Verortung des Kostümbildes wie eine Orientierungshilfe.
Catrin Darr Gibt es aus deiner Sicht – nach deiner langen und intensiven Beschäftigung mit Sibylla Schwarz – ein Schlüsselwort, das möglicherweise das Wesen der Autorin, das Wesen ihrer Texte streift?
Henriette Sehmsdorf Protestantin! Für mich ist Sibylla eine Protestantin im wahrsten Sinne des Wortes, als aufmüpfige Jugendliche, als weibliche Poetin, als schreibende Frau, als Bürgerliche. Sie stellt Fragen, die ihrem Zeitgeist weit voraus sind. Am Anfang und am Ende aller Autoritäten steht für sie das Wort – und nichts als das Wort.